Das Atelierhäuschen von Wulffen (links) um 1900
Für die Ostfassade zur Möhlstraße hin, hatte Romeis 1897 zunächst einen Dreiecksgiebel mit Fachwerk geplant, den er dann jedoch in einen zinnenbekrönten Treppengiebel umänderte. Das Gebäude selbst bestand aus einem im Erdgeschoss liegenden, großen Atelierraum, der sich sich durch ein großes Nordfenster mit optimalen Lichtverhältnissen für den Maler auszeichnete und einem sich daran westlich anschließenden kleinen Raumtrakt, der im oberen Stock mit Fachwerk versehen und als »Kneipenzimmer« bestimmt war, wie die Akte der Lokalbaukommission München, Akt Möhlstraße 43, aus dem Jahr 1899 vermerkt. Das Treppenhaus war in einem im Südwesten angeschlossenen Rundturm angebracht, über den das Gebäude ebenfalls betreten werden konnte. Auf einer Postkarte um 1900 ist eine Graphik abgedruckt, die das Atelierhaus von Osten zur Möhlstraße hin und in einem weiteren Ausschnitt von Nordwesten zeigt.
Postkarte mit der Wulffen »Villa«, sign.1898
Es handelt sich beim Anwesen von Wulffen in seinen Ursprüngen weniger um eine »Villa« oder ein Familienwohnhaus, als vielmehr um ein Ateliergebäude mit einen Aufenthaltsort, wo man sich mit Freunden im Grünen treffen konnte. Auffällig ist, das Romeis den Bau wie eine verkleinerte Reprise des benachbarten Plaß-Hauses (Möhlstraße 41) gestaltet hat. Der Renaissance-Treppengiebel, das Fachwerk und der Treppenturm schufen eine »malerische« Stimmung und sind Hauptcharakteristika beider Gebäude. Gleichzeitig lassen sie die typische Handschrift des Architekten Romeis erkennen, der den Stil der »deutschen Renaissance« bevorzugte.
Ateliertrakt und »Kneipenzimmer« im Fachwerkstil, 2007
In den 1920er-Jahren wurde das Ateliergebäude des Malers Wulffen (1897) und die benachbarte Villa für Dr. Schuster (nach Plänen von Romeis 1903 auf dem Grundstück Möhlstraße 45 errichtet), zu einem einzigen Gebäudekomplex verbunden. 1929 übernahm Karl Stöhr im Auftrag des Hotelierehepaar Berta und Josef Stengel den Umbau des Anwesens im Stil der »Neuen Sachlichkeit«. Giebel und Fachwerk – wie von Romeis entworfen – verschwinden. Eine ähnlich schlichte Außenfassade als charakteristische Stilelemente eines neuen Zeitgeschmacks erhalten um diese Zeit auch die 1925/26 neu errichtete Villa von Richard Willstätter (Möhlstraße 29) und die umgebaute Villa des Schreiber-Verlags in der Möhlstraße 34.
Atelierhaus Wulffen (links) und Schuster-Villa um 1910
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte hier das im Juli 1950 in Frankfurt am Main gegründete "Zentralkomitee der befreiten Juden" (ZK), die von der US-Administration offiziell anerkannte Vertretung der überlebenden Juden in Deutschland, sein Büro mit verschiedenen Abteilungen, unter anderem einer Apotheke. 1956 verkauften die Stengels die »Villa« an die süddeutsche Provinz der Pallotiner, eine Priesterordensgemeinschaft, die hier heute ein Studien-, Wohn- und Gästehaus betreibt. Zu diesem Zeitpunkt war die Wulffen-Stengel-»Villa« völlig verwahrlost. Eine Vollrenovierung erfolgte im Jahr 1996. Seit 2013 befindet sich hier eine Kindertageseinrichtung des Phorms Campus.
»Villa« Wulffen / Schuster 2008
Textquellen:
Barbara Six: Der Architekt Leonhard Romeis (1854–1904). Seine Münchner Villen unter besonderer Berücksichtigung der Wohnhäuser für die Maler Eduard von Grützner und Ernst Ludwig Plaß, LMU-Publikationen Nr. 14, 2005.
Karl, Scola: Die Möhlstraße, 1998.
Fotos von oben nach unten:
Blick von der Möhlstraße auf die Gaststätte »Neuberghausen« und die Kirche St. Georg um 1900. Links am Bildrand gerade noch zu sehen der Renaissance-Giebel des Wulffen-Atelierhäuschens. Die spätere Schuster-Villa (Leonhard Romeis, 1903), am Eckgrundstück Möhl- / Neuberghauser Straße, steht noch nicht. Quelle: Buchscan aus: Willibald Karl (Hrsg.): Bogenhausen. Vom bäuerlichen Pfarrdorf zum noblen Stadtteil, München 1992.
Postkarte mit Grafik des Atelierbaus für Karl von Wulffen sign. 1898, gelaufen 1899. Zu sehen ist links das Atelierhaus von Osten, im Hintergrund die Kirche St. Georg. Ausschnitt rechts oben: die Ansicht der Villa von Nordwesten (im Hintergrund der Pavillonbau der Plaß-Villa, Möhlstraße 41). Quelle: Privatbesitz.
Der Ateliertrakt der Wulffen-»Villa«, mit dem im Fachwerkstil gestalteten ersten Stockwerk, dem »Kneipenzimmer«, gesehen von der Neuberghauser Straße. © dietlind pedarnig (2007).
Ostansicht des Atelierhauses von Karl von Wulffen (links) und der Villa Schuster, Möhlstraße 45, um 1910. Die Straßenpflasterung - ein altes "Katzenkopf"-Straßenpflaster, stammt aus dem Jahr 1876. Im Hintergrund zu sehen der Turm von St. Georg. Quelle: Buchscan aus: Karl, Möhlstraße, 1998.
Ost-Nordansicht der Wulffen/Schuster-»Villa« an der Ecke Möhl- / Neuberghauser Straße im Jahr 2008. Links spitzt noch das Fachwerk der Villa Plaß durch die Bäume, rechts zu sehen das zur Totalrenovierung eingerüstete Schmitthenner-Haus, Maria-Theresia-Straße 35. © dietlind pedarnig