Villa Stury

Die weitgehend unverändert erhalten gebliebene Villa Stury in der Possartstraße/Ecke Shakespeareplatz in Altbogenhausen ist heute Sitz der gemeinnützigen Richard Stury Stiftung und beherbergt außerdem einen Kindergarten. Ursprünglich war die Villa das Wohnhaus des Hofschauspielers Richard Stury (18591928).

 

Richard Stury zählte Ende des 19. Jahrhunderts zu den herausragenden Schauspielern am Münchner Nationaltheater. Noch 1905 würdigte ihn »Die Allgemeine Zeitung« als einen Schiller-Darsteller, der »schwer zu übertreffen« sei. Richard Stury wurde am 30. Oktober 1859 in München geboren. Er begann zunächst ein Jurastudium. Doch bald entschied er sich für das Theater. Er studierte an der Königlichen Akademie der Tonkunst (heute Hochschule für Musik und Theater) Schauspiel. Erste Engagements in Coburg und Darmstadt folgten. Nach München zurückgekehrt, wurde König Ludwig II. auf ihn aufmerksam. Er engagierte Stury für Separatvorstellungen im großen Nationaltheater und bedachte ihn mit zahlreichen Geschenken. Sturys schauspielerischer Werdegang führte 1882 ans Nationaltheater in Mannheim, wo er zum großen Schiller- und Goethe-Darsteller reifte. 1887 kehrte er als »erster Held und Liebhaber«, dem begehrtesten Bühnenfach, an die Münchner Hofbühnen zurück. In den Neunzigerjahren feierte Richard Stury seine größten Erfolge. Aus gesundheitlichen Gründen musste er jedoch bereits 1905, erst 46-jährig, seine Theaterkarriere beenden.

 

 

Hofschauspieler Richard Stury, Fotografie von Franz Grainer 1901 © Richard Stury Stiftung

 

 

Stury widmete sich seit seinem Bühnenabschied verstärkt der Lehrtätigkeit und der Ausbildung des Schauspielernachwuchses. Zuvor hatte er schon dramatischen Unterricht an der Königlichen Akademie der Tonkunst erteilt. Außerdem setzte er sich als Präsident der Münchner Versuchsbühne und als erster Vorsitzender der Münchner Zweiggenossenschaft des Freien Deutschen Hochstifts in Frankfurt vehement für kulturelle Belange ein. Dieses Engagement und seine große Beliebtheit führten schließlich dazu, dass Stury 1911 zum Königlich Bayerischen Hofrat ernannt wurde. Im gleichen Jahr erhielt eine Straße in Schwabing seinen Namen.

 

In eben dieser Zeit fasst Stury den Plan, ein eigenes Wohnhaus für seine Familie zu errichten, eine Villa, die sozusagen dem neuen Status Rechnung trägt. Seine Heirat 1904 mit der wohlhabenden Apothekerstochter Ella Seeholzer erleichterte die Finanzierung. Als geeigneter Standort wurde das vornehme Bogenhausen gewählt. Man wohnt dort in unmittelbarer Nähe des Prinzregententheaters. Stury trat in Verhandlungen mit der Heilmann’schen Immobiliengesellschaft A.G., die unter der Bezeichnung »Villenkolonie Bogenhausen südlich der königlichen Sternwarte« ein weitläufiges Areal in ihrem Besitz hatte. Das Ehepaar Stury entschied sich für ein Eckgrundstück im Villenareal: Possartstraße Ecke Holbeinplatz (heute Shakespeareplatz). Als Architekten wählte man Paul Böhmer, der in unmittelbarer Nähe bereits eine Villa für die Familie von Crailsheim, Possartstraße 21, errichtet hatte. Böhmer entwarf für die Sturys eine neoklassizistische Mansarddachvilla mit zwei Gartenpavillons, für deren Errichtung die Lokalbaukommission am 1. April 1912 die »Wohnungsbewilligung« erteilte.

 

Die zweigeschossige Villa verfügt über ein für die damalige Zeit typisches Raumkonzept anspruchsvollen Wohnens: Über eine kleine Freitreppe erreicht man das repräsentative Hochparterre mit Diele, Speisezimmer, Wohnzimmer, Salon und Damenzimmer. Im ersten Stock lagen die Privaträume: Elternschlafzimmer mit Ankleideraum und Bad und für die vierköpfige Kinderschar Kinderzimmer und Spielzimmer. Im Dachgeschoss waren die Räume für Personal und Gästezimmer untergebracht. Das Souterrain mit separatem Lieferanteneingang beherbergte die Küche, die sogar über einen Speiseaufzug verfügte, Wirtschaftskeller, Bügelzimmer, Waschküche und Mägdebad. Außerdem gab es einen Weinkeller.

 

Als weithin sichtbares Zeichen für die musische Profession des Bauherrn ließ Stury im Tympanon des oberen Balkongiebels an der Südseite der Villa eine stuckierte, antikisierende Theatermaske anbringen. Die Zeitschrift »Der Bau« stellte die Villa 1913 in Grundrissen, Ansichten und zwei Fotografien als vorbildlichen Villentypus vor. Ferner brachte der Fotograf Georg Pettendorfer (1858–1945) die Villa bald nach Fertigstellung als Fotopostkarte auf den Markt. Die Villa entwickelte sich schnell zum Treffpunkt der Münchner Gesellschaft. Bei Soireen und Hauskonzerten waren vor allem Gäste der Kunst- und Kulturszene anzutreffen, beispielsweise die Komponisten Richard Strauss und Max von Schillings, der Bildhauer Adolf von Hildebrandt, die Schriftsteller Max Halbe, Ludwig Thoma, Hermann und Eugen Roth, auch Nuntius Pacelli, der spätere Papst Pius XII., und Thomas Mann. Die Bekanntschaft mit Thomas Mann ist verbunden mit einer kleinen Episode. Seit 1914 wohnten die Manns nicht allzu weit vom Hause Stury entfernt in der Poschinger Straße 1. Eines Tages kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Kindern beider Familien. Was dazu führte, dass Max, der Sohn Sturys, Klaus Mann verprügelte. Dem wiederum sprang seine Schwester Erika bei und verhinderte durch ihr »amazonenhaftes Eingreifen« – so Klaus Mann in seinem Tagebuch – »Schlimmeres«.

 

Eine weitere Episode bezieht sich auf die Adresse der Villa Stury. Sie lautete damals Holbeinplatz 1. 1916 brachte allerdings ein Beschluss des Magistrats der Stadt München Richard Stury nicht nur eine Änderung der Adresse, sondern zugleich auch die Erinnerung an einen Berufskollegen und großen Konkurrenten, mit dem ihn eine nicht allzu harmonische Vergangenheit verband: Aus Anlass des 50-jährigen Bühnenjubiläums von Ernst von Possart sollte der Holbeinplatz in Possartplatz umbenannt werden. Stury müsste also künftig in seinem Briefkopf den Namen Possart führen, weshalb Sturys Gattin Ella bei der Stadtverwaltung diese »Umwidmung« zu verhindern suchte. Sie empfand es als Bedrohung, künftig gleichsam von »Possarts« umzingelt zu sein – die Villa grenzte bereits an die Possartstraße, nun sollte auch noch ein Possartplatz hinzukommen. Der Magistratsbeschluss blieb aber bestehen. Erst 1964 erfolgte die Umbenennung in Shakespeareplatz. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Villa schon der Possartstraße zugeschlagen.

 

 Mitte der Zwanzigerjahre verschlechterte sich Sturys gesundheitlicher Zustand. Am 27. Mai 1928 erlag er im Alter von 68 Jahren einem Gehirnschlag. Die Beisetzung im Münchner Ostfriedhof erfolgte unter großer Anteilnahme der Bevölkerung. In der Presse erschienen zahlreiche Nachrufe. Der älteste Sohn, Dr. Dr. Richard F. Stury (19111999), Jurist und Theaterwissenschaftler, plante bereits, Sturys Engagement für Kunst und Wissenschaft fortzusetzen. Es blieb allerdings seiner Ehefrau Gertrud E. Stury (19242008) vorbehalten, dieses Vorhaben 2002 durch die Gründung einer rechtlich selbständigen Stiftung zu realisieren. Weitere Infos zur Stiftung unter www.richard-stury-stiftung.de.

Dr. Helmut Hess, NordOstMagazin, 2015

 

Literatur:

Helmut Hess: Richard Stury. Erster Held und Liebhaber. Zwischen Bühnenpracht und Börsencrash. Berlin 2006

Dorle Gribl: Prominenz in Bogenhausen. Villen und ihre berühmten Bewohner. München 2009

 

 

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