Die Dorfschule in Englschalking

Herbert Feldmann

 

Am 8. Juni 1896 – also vor 110 Jahren – wurde in Englschalking (in der heutigen Schnorr-von-Carolsfeld-Straße) das erste Schulhaus der Gemeinde Daglfing eingeweiht. Heftige Auseinandersetzungen mit der Gemeinde Oberföhring, aber auch zwischen den Ortsteilen Johanneskirchen, Englschalking, Denning, Daglfing und Zamdorf fanden so ein Ende. 22 Jahre hatte der Streit um die gemeindeeigene Schule gedauert. Nach drei erfolglosen Versuchen – 1873, 1881 und 1889 - genehmigte das Staatsministerium des Innern 1892 die Errichtung eines Schulgebäudes in Englschalking und damit die gemeindeeigene Schule. Gleichzeitig erneuerte die Behörde die Genehmigung zur Wiedereinführung des Bieraufschlages, der bereits 1874 eingeführt worden war „zum Zwecke der Verzinsung und Tilgung einer zur Erbauung eines neuen Schulgebäudes (...) aufzunehmenden Schuld (...)“. Das Bier stand Pate an der ersten Englschalkinger Schule, denn jährlich flossen etwa 2000 Mark Biersteuer in die Gemeindekasse. Die Schulfrage begleitet die Gemeindegeschichte vom Anfang bis zum Ende.

 

 

 

 

Zunächst aber ein Rückblick über die Schulentwicklung im Münchener Nordosten. Sie beginnt mit der Klausnerschule des Eremitoriums St. Emmeram bei Oberföhring. Es gibt Hinweise auf Schulunterweisung aus den Jahren 1599 und 1605. Ein sicherer Beleg ist  jedoch das Bittgesuch des Fraters Franz König  von 1707 an das Freisinger Domkapitel: „Fürstbischof Albrecht Sigmund hat vor 48 Jahren erlaubt, dass ich bei St. Emmeram, wo es sonst nirgends eine Gelegenheit, Schule zu halten, aufgenommen wurde.“ Also muß Franz König bereits 1659 in St. Emmeram Schule gehalten haben. Wer waren nun die Eremiten ? Die Vorstellung vom Einsiedler im Walde ist falsch. Die Eremiten waren in der Regel Mitglieder einer Kongregation, die unter bischöflicher Aufsicht stand. Sie versorgten Kapellen und Klausen, gingen dem Pfarrer zur Hand, pflegten Kranke und betrieben, wie der Altvater der Kongregation, Daxenberger, in einem Brief an den Kurfürsten 1761 schreibt, die „Unterweisung der armen Bauernjugend in Gegenden, wo keine Schulen sich befinden.“

 

Der Schulbesuch war freiwillig, kostete Schulgeld und wurde nur von einem geringen Teil der Bevölkerung wahrgenommen. Die Eremiten mussten nach einem Noviziat eine Prüfung, eine Art Meisterlehre, ablegen, doch war ihr Bildungsstand und ihre Ausbildung dürftig. Der Unterricht bestand im wesentlichen in der Vermittlung biblischer Geschichten, im Lesen und Schreiben und im Kirchengesang. Schule und Lehre waren vom ungebrochenen Glauben getragen. Die Eremiten lebten von den Zuwendungen des Pfarrherrn, der Gemeinde und von den Erträgen des Bettelns. Dafür erhielten sie den Bettelbrief. Es war ein armseliges Leben. Trotzdem war der Zulauf wegen der allgemeinen Not nach dem 30-jährigen Krieg groß und das Leben eines Eremiten erträglicher und freier als die Schinderei bei einem Bauern oder gar die Hoffnungslosigkeit, ohne Arbeit zu sein.

 

Die Aufklärung veränderte das Denken der Menschen und damit die  Welt. Ihre Ideen und Strömungen trugen erheblich zur Entwicklung des Schulwesens bei. Rousseaus Schriften („Emile“) fanden große Verbreitung und eine heute kaum noch vorstellbare Wirkung. Pestalozzi („Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“) entwickelte den Gedanken der Volksbildung und die heute noch gültigen Methoden des Lehrens und Lernens. Aus ganz Europa pilgerten Menschen zu ihm in die Schweiz, um seine Arbeit zu sehen. Man war überzeugt, dass durch Bildung das sittliche und soziale Wohl des Einzelnen wie der Gesamtheit der Menschen gefördert werden könne. Dieser Glaube an die Planbarkeit gesellschaftlichen Lebens fand in unseren 68-er Jahren eine Wiederholung. Der damalige pädagogische Enthusiasmus hatte auch seine Wirkung auf den Staat. Die politischen Ereignisse um 1800 hatten erhebliche Umwälzungen und Veränderungen zur Folge. Mit Hilfe Napoleons  und durch die Säkularisation erzielte Bayern großen Landgewinn und wurde 1806  Königreich. Max I. Josef hatte mit seinem Minister Montgelas einen Mann gewonnen, der mit seinen Reformen die Grundlagen für ein modernes Bayern schuf. Der Staat erkannte, dass gut ausgebildete Untertanen nicht nur bessere Soldaten, sondern auch bessere Verdiener und damit bessere Steuerzahler sind. So wurde 1802 die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Damit war nun auch das Ende der Eremitenschule gekommen. Eine Allerhöchste Entschließung aus dem Jahre 1802 beginnt mit dem Satz: “Da das Institut der Klausner oder Einsiedler schon längst als zwecklos und schädlich erkannt worden ist, .....“. Dieses harte und unsachliche Urteil entsprach in keiner Weise der Arbeit der Eremiten, denn ihre Schule hatte sich im Laufe der Jahre durchaus positiv entwickelt. Jetzt wurde die Klausnerschule in eine weltliche Schule umgewandelt. Bei einer Schulvisitation waren von 64 gemeldeten Kindern 37 anwesend. Die Schulfreudigkeit der bäuerlichen Bevölkerung war gering. Man brauchte die Kinder zu Arbeiten auf dem Feld und zum Viehhüten.

 

Die Bemühungen um den Bau eines neuen Schulhauses in Oberföhring zogen sich bis ins Jahr 1821 hin. Das neue Haus wurde aus den Abbruchsteinen der Eremitage gebaut; es steht heute noch und beherbergt einen Kindergarten (Muspillistraße 27).Motivation der Gemeinde Daglfing für den Bau eines eigenen Schulhauses waren sicher die weiten Schulwege und die anstehenden finanziellen Beiträge für die Erweiterung der Oberföhringer Schule. Es hatte sich aber auch die Einstellung der Menschen zur Schule geändert. Sie erkannten, dass für eine so zergliederte Gemeinde Schule und Kirche Mittelpunkt und kommunale Identifikation bedeuten und dass eine gute Ausbildung den Kindern den Weg in die Zukunft erleichtert.

 

Schon 1891 hatte der Daglfinger Gemeindeausschuss dem alten Oberföhringer Lehrer Thoma den Ersatz seines Verdienstausfalles nach Abzug der Daglfinger Schüler zugesichert. Nach  dem Erwerb eines Schulgrundstückes von ¾ Tagwerk um 1500 Mark  wurde zu Beginn des Jahres 1895  der Schulbau in den Münchener Zeitungen ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt der Kirchenbaumeister Josef Berlinger aus Berg am Laim. Im April 1895 begannen die Arbeiter mit dem Aushub, im Oktober war das Gebäude in Rekordzeit ohne moderne Baumaschinen fertiggestellt: zwei Schulsäle, Lehrerdienstwohnung, Gemeindekanzlei und Nebengebäude mit Waschhaus und Holzlege. Der Kostenvorschlag von 37.000 Mark wurde um 1100 Mark unterschritten! Im Winter 1895 wurde das Haus trocken geheizt und eingerichtet. Erster Lehrer war Wolfgang Hofmann, ein – umstrittenes – Original, wegen seines roten Bartes der „rote Hofmann“ genannt. Er war im Bauernbund engagiert und wurde in der Revolution 1918/19 Landtagsabgeordneter. Streitbar wie er war, eckte er häufig bei Vorgesetzten, Kollegen und Eltern an. Seinetwegen inszenierten die Daglfinger sogar einen Schulstreik.

 

Der Zuzug durch italienische Ziegeleiarbeiter, der Bau der Trabrennbahn und die Errichtung vieler Siedlungshäuser ließen die Bevölkerung der Gemeinde Daglfing von 732 Einwohnern 1919 auf 1700 Einwohnern  1928 anwachsen. 1927/28 war die Schülerzahl auf 185 angestiegen. Auch der Ausbau eines 3. Schulsaales konnte die Schulraumnot nicht beseitigen. Ein Teil der Schüler musste später in die umliegenden Schulen ausgelagert werden. Die kommunalen Aufgaben waren für die arme Gemeinde kaum noch zu lösen: Straßenbau, Wasserversorgung, Beleuchtung und die sozialen Folgen der Weltwirtschaftskrise. Ein Schulhausneubau war nicht finanzierbar. So blieb als Ausweg nur die Eingemeindung nach München, die 1930 erfolgte. Aber erst 1937 endete mit der Einweihung der Ostpreußenschule die Schulmisere.

 

Zum Schluss sei hier die Frage gestellt, was die Menschen damals von der Schule erwarteten? Konnte diese die Erwartungen erfüllen? Der Gedanke der Selbstverwirklichung, der heute unser Gesellschaftsleben stark prägt, war den Menschen damals sicher fremd. Eher noch bestimmte ein Hauch der Aufklärung ihr Denken, dass Bildung den Menschen gut macht. Wie die Kirche den Himmel öffnete, sollte das Wort des Lehrers die Welt erklären, zeigen, wie die Menschen am Ganges leben, den Entdecker auf seinem Weg durch den Urwald begleiten, den Forscher in seiner Kammer erleben und die Schrecken der Kriege und die Wunder der Natur aufzeigen. Es  ist keine Nostalgie, wenn man sagt, die Schule hat die Menschen rundum gebildet, sie konnten rechnen, sich in Wort und Schrift ausdrücken, die Sterne benennen, sie hatten einen Blick in die Welt und in die Natur getan. Die damaligen Volks- und Dorfschulen und ihre Schüler haben mit den Grundstein für die Entwicklung unseres Landes zu einem der ersten großen Industriestaaten der Welt gelegt.

 

 

 

 

 

Quelle: NordOstMagazin 2007

Foto oben: ehemalige Englschalkinger Schule an der Schnorr-von-Carolsfeld-Straße 9, © Verein für Stadtteilkultur im Münchner Nordosten e.V.

Foto unten: Schüler vor der Ostpreußenschule, © Verein für Stadtteilkultur im Münchner Nordosten e.V.