///   Der „Nuttengrill“ im Prinzregentenbad

 

Nach dem Krieg verlor  das stark zerstörte „Prinze“ seinen Strand und erhielt dafür einen „Lattenrost“, der von boshaften "Badegästen“  als „Nuttengrill“ bezeichnet wurde. Auf diesem kam es am 3. Juli 1964 zu einem Skandal. Um 15 Uhr erschien dort das gut gebaute Münchner Mannequin Evi Matrei, bekleidet mit einem busenfreien Badeanzug. Ein solcher einteiliger Bikini hatte bereits zwei Tage zuvor für Aufsehen erregt, als der ehemalige Tischtennismeister und Sportgeschäftsinhaber Conny Freundorfer den Verkauf dieses Badeartikels bekannt gab. Menschentrauben bildeten sich vor der Auslage von Freundorfers Geschäft in der Schleißheimer Straße 14, Autos fuhren langsam vorbei und hielten trotz Halteverbots  für einen kurzen Moment. Jeder wollte ihn in natura sehen, den Badeanzug ohne Oberteil. Nach der Devise: „Wer sich auszieht, zieht an“, schlüpfte das einundzwanzigjährige Mannequin, das sich nach der „Münchner Abendzeitung“ selbst gerne als „Sexkätzchen“ bezeichnete, als erste Münchnerin in ihren einteiligen Bikini und war damit natürlich sofort im Blickpunkt aller Badegäste. Aufsehen erregte nicht nur ihr „Oben ohne“, sondern auch ihr winziges Goldlurex-Höschen. Der Kommentar eines Bademeisters lautete: „Kleiner geht‘s nimmer!“. Noch nie waren die Liegebretter des Freibades so belagert wie jetzt, als sich dort Evi Matrei zum Sonnen niederließ. Mit einem Schlag waren auch die Fensterplätze des dahinterliegenden Restaurants besetzt. Alle Augen starrten auf die zierliche Münchnerin.

 

 Nach drei Stunden musste die junge Frau ihre Badesachen wieder einpacken, nachdem der Leiter des „Prinzregentenbades“, Thomas Obstner, von der Polizei angerufen worden war, da jemand eine Anzeige erstattet hatte. Obstner forderte daraufhin die „busenfreie“ Dame freundlich auf, zum Badausgang zu kommen. Dort warteten zwei Münchner Ordnungshüter mit finsteren Mienen und nahmen die Personalien der jungen Frau auf. Anschließend durfte Evi Matrei wieder ins Bad zurückkehren. Um den richtigen  Umgang mit barbusigen Badegästen zu gewährleisten, erhielten alle Münchner Bäderleiter ein amtliches „Rundschreiben“ aus dem Rathaus zugesandt. Darin hieß es: „In den städtischen Bädern gelten die Bestimmungen der Satzung § 8 Ziffer 1 und 3 in Verbindung mit der Landesverordnung vom 11.4.1954 über Badekleidung. Demnach ist der Aufenthalt in den städtischen Bädern nur in anständiger Badebekleidung möglich. (Bei weiblichen Gästen ab 6 Jahren entsprechend mindestens Bikini.) Sollten weibliche Personen in Badekleidung ohne Oberteil festgestellt werden, sind sie in höflicher und einwandfreier Weise auf die in städtischen Bädern gültige Badeordnung hinzuweisen und zu bitten, sich entsprechend zu verhalten“ . Michael Graeter, der Verfasser des Artikels in der „Abendzeitung“, endete seinen Bericht mit dem Hinweis, dass die „Mini-Bikinis“ im „Sporthaus Conny Freundorfer“ total ausverkauft wären und der Ladeninhaber sehnsüchtig auf die neue Lieferung warte.

 Der „Mini-Bikini“ beschäftigte sogar den „Bayerischen Landtag“ und Innenminister Heinrich Junker verlor am 7. Juli 1964 ernste Worte über die winzigen oberteillosen Bikinis, nachdem der konservative Abgeordnete Hermann Wösner von der „Staatsregierung“ darüber Auskunft verlangte, mit welchen rechtlichen Mitteln man der neuen Mode begegnen könne. „Vor allem wenn man an ihre jugendgefährdende Wirkung denkt“. Der Innenminister antwortete, dass durch die „Landesverordnung“ vom 11. April 1957 das öffentliche Baden ohne Badebekleidung verboten sei. Unter Badebekleidung verstand der Minister „mindestens einen, wenn auch ‚knappen‘ Bikini“. Im Übrigen, meinte der Politiker, „möchte ich mich mehr auf das Gefühl für Scham, Anstand und frauliche Würde in unserem Land verlassen als auf polizeiliche Maßnahmen“. Selbst die höchsten Kirchenstellen befassten sich mit dem „Mini-Bikini“. Unter der Überschrift „Die letzte Schande“ erschien - ebenfalls am 7. Juli 1964 - ein Bericht in der Vatikan-Zeitung „Osservatore Romano“. Er setzte sich mit dem Aufsehen, das das „industriell-erotische Abenteuer“ des busenfreien Badeanzugs erregt hatte, auseinander. „Man negiert das moralische Gefühl, das Bewußtsein der Scham, den Fortschritt der Geschichte, der schließlich die Frau, indem er sie bekleidete, nicht erniedrigt, sondern sie, indem er sie auch äußerlich schmückte, erhöht hat. Und man eilt zur tierischen Nacktheit (die jedoch wenigstens unschuldig ist) des Wilden“.

 

Und am 9. Juli 1964 ereilte schließlich das Schicksal des „Oben-Ohne-Bikinis“ dann auch noch den Chef der Augsburger Schwimmbäder. Zwei hübsche Mädchen hatten sich auf einer großen Badedecke auf der Liegewiese niedergelassen. Eine der beiden trug einen „busenfreien“ Badeanzug. Nachdem eine Badefrau das blankbusige Mädchen entdeckt hatte, forderte sie sie auf, ihre Blöße zu bedecken. Doch die junge Frau dachte nicht daran und lachte nur laut. Auch der hinzugezogene, höchst aufgeregte und mit Drohungen argumentierende Bäderchef konnte das Mädchen nicht umstimmen. Also rief man die Polizei, die nach einer halben Stunde in Form von zwei Ordnungshütern eintraf. Lautstark fragten sie: „Wer nimmt Anstoß ?“ und die Menge antwortete im Chor: „Niemand !“ Der Polizist daraufhin: „Ja es muss jemand Anstoß nehmen, sonst können wir nicht einschreiten“ . Da zwängte sich eine ältere Dame im einteiligen Badeanzug zu den Ordnungshütern und sagte mit spitzer Stimme: „Ich habe ein zweijähriges Kind dabei. Man muss doch Rücksicht nehmen“. Der Polizist fragte sicherheitshalber nochmals nach: „Sie nehmen also Anstoß ?“, die Frau antwortete umgehend mit einem eindeutigen „Ja !“ und die Menge meuterte mit einem lauten „Buh, buh, buh, die Frau ist doch noch lange nicht die Öffentlichkeit“. Daraufhin musste die junge Frau ihren Busen bedecken. Dazu passt der Spruch von Karl Kraus: „Vergessen Sie nie, dass der Skandal sehr oft erst dann beginnt, wenn ihm die Polizei ein Ende bereitet“.

 

Rudolf Hartbrunner

 

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