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Armenfürsorge
In
allen Zeiten und Kulturen bedrohte Armut die Menschen. Ihre Bekämpfung war im
Mittelalter vorwiegend Sache privater und kirchlicher Organisationen. Den Armen
und Bettlern zu geben war christliche Pflicht.
Armut galt als gottgegeben und
Almosen galten als gottgefällig. Die Zunahme der mobilen Armen (Bettler und
Vaganten, Hausierer, Tagelöhner, Saisonarbeiter), die weder Heimatrecht noch
festen Wohnsitz besaßen, ließ die Armut zu einem gesellschaftlichen Problem
werden. Auswüchse wie das Bettlerunwesen lieferten Argumente, daß Armut eine
Folge der Faulheit und Liederlichkeit sei. Staat und Kommunen versuchten, die
Notlagen – oft durch Hungersnöte verstärkt – zu mildern. So erließ schon
1530 der Reichstag eine
Polizeiverordnung, die auch eine Bettelordnung einschloß und die den Gemeinden
die Fürsorge für die Armen aufbürdete. Man gab Bettelbriefe (Erlaubnis zum
Betteln) aus, verteilte Brotmarken, Klöster speisten Bedürftige, Spitäler
versorgten Kranke und Bedürftige. Das Kapuzinerkloster in München teilte bis
1802 jeden Mittag eine Suppe an die Armen aus. Die Säkularisation mit der Auflösung
der vielen Klöster und Abteien verschärfte die Notlage einer breiten unteren
Schicht dramatisch. Dazu kam die Verarmung des Landes durch Kriegsführung und
Staatsverschuldung.
Die Aufklärung im 18. Jahrhundert veränderte die Einstellung zur Armut. Sie wurde nicht mehr als gottgegeben angesehen und Möglichkeiten zur Selbsthilfe sollten die Eigenverantwortung der Menschen für ihre Lebenssituation stärken. Die ersten Sparkassen und Dienstbotenkassen wurden gegründet, Arbeits- und Beschäftigungshäuser errichtet (1795 das Versorgungshaus am Gasteig, 1804 das Beschäftigungshaus am Anger). Allerdings waren häufig die materiellen Zustände und die Art der Betreuung der Bedürftigen nach unseren heutigen Maßstäben katastrophal. Große Verdienste in der Armenfürsorge und gegen das Bettlerunwesen (1836 wurden über 60.000 Bettler in Bayern gezählt) erwarb sich Graf Rumford. Berühmt/berüchtigt ist seine Armensuppe aus Graupen, Erbsen, Brot, Salz, Sauerkraut, etwas Fleisch oder Speck und viel Kartoffeln und Wasser. Negativen Einfluß übte die Ansicht des Engländers Malthus (1766 – 1834) aus. Danach wächst die Bevölkerung im geometrischen, die Nahrungsherstellung jedoch nur im arithmetischen Mittel. Von daher sei die Unterstützung Armer und Gebrechlicher nicht sinnvoll.
Mit
dem Armenpflegegesetz von 1808 und der Verordnung „Das Armenwesen
betreffend“ von 1816 begann die
staatliche Fürsorgepolitik. Sie bürdete jedoch den Gemeinden die soziale
Verantwortung auf, die durch Beschränkung des Heimatrechtes und der
Heiratsbewilligung den Folgelasten zu entkommen suchten.
Max
II. stellte 1848 die Preisfrage: „Durch welche Mittel kann der materiellen
Noth der unteren Klassen ... am zweckmäßigsten und nachhaltigsten abgeholfen
werden?“ Der Gewinner des Ausschreibens, Frhr. von Holzschuher, verlangte u.a., die Ansässigmachung
und die Verehelichung zu erleichtern. Letzteres geschah jedoch erst im „Gesetz
über die Armen- und Krankenpflege“ von 1869, an dem Frhr. von Riedel
erheblichen Anteil hatte.
Mit
der Industrialisierung Mitte des 19.Jahrhunderts weitet sich die Armuts- und
Daseinsfrage zur „sozialen Frage“ aus. Die Notlage weiter Bevölkerungskreise
und die Forderungen der Arbeiterbewegung lassen sich durch private, kirchliche oder kommunale Fürsorge nicht
mehr beheben. Rechtliche Absicherung statt Mildtätigkeit ist gefragt. Aus allen
Richtungen der Gesellschaft ertönt der Ruf nach dem Staat. Bismarck schafft aus
der Mischung christlich-patriarchalischer Verantwortung für die „kleinen
Leute“ und der Abwehr sozialistischer Bestrebungen und Parteien die damals in
Europa einmaligen Sozialgesetze. Sie sollen Armut nicht nur bekämpfen, sondern
vor allem verhüten. Die Armut war damit noch nicht abgeschafft. Ilse F.
berichtet in ihren Schulerinnerungen aus den 30-er Jahren, wie Mitschüler notdürftig
gekleidet waren und in der Pause um einen Apfelbutzen bettelten. Und für die
Gemeinde Daglfing waren die Soziallasten ein Grund für die
Eingemeindungsbestrebungen nach München. Mit versprechenden Parolen wie
„Keiner soll hungern und frieren!“ sammelte Hitler die Stimmen der
Hoffnungslosen. Tatsächlich gab es in der Weltwirtschaftskrise viele Menschen,
die kein „Brot im Kasten“ und keine Kohlen im Keller hatten.
Der Vergleich von Armut früher und heute ist schwer. Armut in bäuerlicher Umgebung ist anders zu bewerten als Armut in einer Berliner Mietskaserne, wie sie Zille beschreibt. Auch die Umrechnung von Löhnen, Preisen, Geld- und Warenwerten auf heutige Verhältnisse ist fast unmöglich. War Armut früher lebensbedrohend, so ist heute der Anteil des Einzelnen am gesellschaftlich-sozialen Leben maßgebend.
Herbert Feldmann