Julius und Moritz Wallach

 

Julius (18741965) und sein jüngerer Bruder Moritz (1879–1963) stammen aus einer kinderreichen jüdischen Familie, der Vater war Getreidehändler. Geboren in Bielefeld bzw. in Geseke in Nordrhein-Westfalen, wachsen die Brüder in Bielefeld auf und besuchen dort höhere Schulen. Moritz ausgebildeter  Kaufmann tritt im Frühjahr 1899 eine Stelle im Münchner Hutmodenhaus Heinrich Rothschild an, ehe er 1905 in das »Fachgeschäft für Landestrachten« (mit angeschlossener Schneiderwerkstatt) seines Bruders Julius in der Lindwurmstraße 11 einsteigt. Er organisiert dort den Webwarenverkauf. Das gut gehende Geschäft übersiedelt noch im gleichen Jahr in die Stadtmitte an den Petersberg 9. Im Obergeschoss sind auf handgeschnitzten Figuren Trachten aus Oberbayern, Niederbayern und Tirol für die Vorübergehenden ausgestellt. Julius – ein leidenschaftlicher Trachtler und Mitglied des Alpenvereins – erwirbt auf ausgedehnten Reisen Trachten und andere Volkskunstgegenstände. Diese Sammlung ermöglicht die Herstellung  neuer, authentisch wirkender Kleidung, die in Trachtenvereinen aber auch auf der Bühne oder im Fasching zum Einsatz kommen. Das erste Dirndl aus Seide entsteht aus einem aus dem Brixental mitgebrachten Trachtenkostüm. Eine preußische Prinzessin trägt es auf einem Ball in Paris und erregt damit großes Aufsehen. Tracht wurde von Städtern bislang nur in der Sommerfrische auf dem Land getragen, jetzt machen es die Wallachs salonfähig. Das Geschäft wird zum führenden Haus für Trachtenmode, auch international. Die Brüder produzieren  nicht nur Mode, sondern auch Stoffe und verkaufen diese an französische Modeschöpfer, nach England, Holland und New York. Schon 1910 siedelt das Wallach-Geschäft erneut in größere Räume in das Eckhaus Residenzstraße 3/Ecke Perusastraße (Zechbauerhaus) um, wo man schon nach wenigen Wochen große Verkaufserfolge feiert. Für das Jubliäums-Oktoberfest 1910 statten die Wallachs die Mitglieder des Festzugs unentgeltlich mit Trachten aus. Als Anerkennung für seine Leistung erhält Julius Wallach am 15. März 1910 den Titel eines »Königlichen Hoflieferanten« verliehen.

 

 

 

 

Zur Erweiterung des florierenden Unternehmens mieten die beiden Kaufleute weitere Räume in der Residenzstraße 6, 7 und 10 an und gewinnen damit Platz für Ausstellungen sowie einer Maler- und Schreinerwerkstatt, in der neue Möbel im Volkskunststil bemalt und alte zum Verkauf hergerichtet werden. Auch der Erste Weltkrieg stoppt die Erfolgsstory nicht. Moritz Wallach führt das Haus in Abwesenheit seines Bruders, der zum Militär eingezogen wird, weiter, da der Export zwar vollständig zum Erliegen kommt, der Inlandsbedarf aber wächst. Innenausstattungshäuser und kunstgewerbliche Unternehmen wie die Vereinigten Werkstätten München und Dresden-Hellerau werden neue Kunden und im Textilsektor sogar zu Nachahmern der Wallachs. Moritz Wallach tritt dem Deutschen und Österreichischen Werkbund bei und knüpft Handelskontakte zu den Handelsschulen in Zwiesel (Glas- und Holzschnitzerei) und Münchberg (Weberei). Er wird Mitbegründer des Wirtschaftsverbandes des bayerischen Kunstgewerbler und organisiert eine große Exportschau in der Residenz. Der Stil der Gebrüder Wallach besonders im Textilbereich ist unverkennbar: speziell gefärbte Garne und Stoffentwürfe mit unverwechselbaren Druckmustern unter anderem entworfen von Künstlern wie Otto Obermeier, Paul Neu, Jan Balet oder Bruno Gutensohn. 1919 erwerben Moritz und Julius das ehemalige Palais Ludwigstraße 7 und lassen es zu einer »Volkskunst-Zentrale« umbauen. Sie wollen hier die umfangreiche auf Reisen erworbene Volkskunstsammlung (Sandsteinplastiken, Keramik-, Glas-, Metall- und Holzarbeiten, Möbel, Textilien) präsentieren sowie ihre neuesten Waren ausstellen. Der Baedeker empfiehlt den Besuch des musealen Handelshauses als neue Touristenattraktion. Auf fünf Stockwerken reihen sich in Stuben und Ensembles regionaltypische Gegenstände aus ganz Europa aneinander. Der neue Verkaufszweig der Innenausstattung der Brüder Wallach erweist sich als äußerst lukrativ, jedoch macht sich die wirtschaftliche Rezession der 1920er-Jahre auch hier dramatisch bemerkbar: 1926 wird das Palais samt dem Großteil der Volkskunstsammlung versteigert. Julius Wallach zieht sich mit seiner Familie an den Bodensee zurück und betreibt dort ein kleines Volkskunstgeschäft. Moritz Wallach errichtet im Eckgebäude Residenzstraße 3/Ecke Hofgrabenstraße ein neues »Haus für Volkskunst und Landestrachten«, das bis 2004 bestehen wird.

 

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wirkt sich nicht negativ auf das florierende Geschäft aus. Dirndl und Trachtenjacken sind ebenso gefragt wie die typischen, mit Trachtenpaaren, Fachwerkhäusern, Waldtieren, Wirtshäusern, Hochzeitszügen und schwebenden Landschaften bedruckten Wallach-Stoffe aus dem Design von Paul Neu oder Jan Balet. Göring und Hitler gefallen die Erzeugnisse, nichtsdestotrotz wird der Firmeninhaber zunehmend antisemitischen Angriffen ausgesetzt. Im August 1938 wird Moritz Wallach gezwungen das Unternehmen an den gescheiterten Kunsthändler Otto Witte zu verkaufen und am 17. November 1938, sechs Tage nach den Pogromen der sogenannten Kristallnacht dringen Gestapo-Beamten in Begleitung von SS und SD mit zwei Kunstsachverständigen, in die Wohnung Mauerkircherstraße 13 ein, um dort »deutsches Kulturgut«  zu beschlagnahmen. Im Frühjahr 1939 reist das Ehepaar Wallach an Bord der »Manhattan« Richtung New York aus. Drei der vier Kinder von Moritz und Meta leben schon in den USA, die vierte Tochter ist 1938 nach Australien emigriert. Seinem Bruder Max mit Ehefrau Melly gelingt die Flucht nicht und sie werden ins KZ Theresienstadt deportiert und dort ermordet. Julius Wallach entkommt zusammen mit seiner Frau Johanna nach einer mehrjährigen Flucht durch ganz Europa diesem Schicksal und siedelt sich vollkommen mittellos in Pennsylvania an.

 

Moritz und Meta Wallach verfügen bei ihrer Ankunft in New York nur über einige Möbelstücke, Musterzeichnungen und Druckmodeln. Er beginnt erneut ein Kunstgewerbeunternehmen aufzubauen. 1948 kommt Moritz Wallach nach München zurück, um die Rückerstattung seiner Firma sowie die von der Gestapo geraubten Kunstgegenstände zu erwirken, was ihm 1949 dann auch nach langem Ringen gelingt. Wallach bleibt aber weiterhin in seinem »Handcraft Studio« in den USA tätig und im Kreis seiner Familie wohnhaft. Das Münchner Wallach-Geschäft wird auf Wunsch der Erbengemeinschaft für diese von Max Sedlmayer weitergeführt. 1985 wird »der Wallach« an die Firma Lodenfrey verkauft, die das Geschäft unter dem alten Namen bis 2004 weiter betreibt. Heute befindet sich hier, in der Residenzstraße 4, in dem Haus mit dem markanten Eingang, der Diesel Flagship Store.

 

Moritz Wallach stirbt im April 1963 in Lime Rock, Connecticut, im Alter von 83 Jahren, zwei Jahre später sein Bruder Julius, der sich 1962 in Neubeuern am Inn niedergelassen hatte. In einer kleinen Dachwohnung über einer Wirtschaft ging er gelegentlich der Besitzerin eines Volkskunstladens zur Hand. Was viele nicht wissen: Das heutige, tief ausgeschnittene Dirndl mit kurzer Bluse und straffem Mieder geht auf die NS-Zeit zurück, in der es durch die »Reichsbeauftragte für Trachtenarbeit« neu kreiert und ideologisch aufgeladen wird. Moritz und Julius Wallach hingegen haben sich mit ihrer Trachtenmode immer an den ursprünglichen Trachten orientiert, die sie sammelten und von denen sie wesentliche traditionelle Elemente beibehielten.

 

 

 

 

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