Georg Selmayr (1852–1920)

 

Die Bande zwischen der Bogenhauser »Prominenz« waren in den Gründerzeitjahren Ende des 19. Jahrhunderts eng geknüpft. Man war geschäftlich und sozial verbunden, ließ sich die Villen von den gleichen Architekten errichten und von den gleichen Künstlern ausstatten. Das Motto »Tu felix austria nube« könnte man auch auf die Familien der Selmayr, Betz und Düll, aber auch generell auf die stolzen Ziegeleibesitzer, die »Loambarone« jener Jahre anwenden. Man war verbandelt, Geld kam oft zu Geld, manchmal waren es glückliche Beziehungen, manchmal eher vernünftige.

 

Georg Selmayr, geboren am 19. Mai 1852 in Bogenhausen, war der nur ein Jahr jüngere Bruder des letzten Bürgermeisters der Gemeinde Josef Selmayr jr. An seinem Taufbecken stand als Patin Crescentia Metz, geborene Seidl, Ziegelmeistergattin aus Ramersdorf und Stiefschwester seiner Mutter Anna Maria Seidl (18301896). Diese war eine uneheliche Tochter des berühmt-berüchtigten Ziegeleibesitzers Lorenz Seidl, der zum Zeitpunkt ihrer Geburt noch in zweiter Ehe mit Kreszentia Brandner, der Schwester ihrer Mutter Anna, verheiratet gewesen ist. Sein Vater war der angesehene und vermögende Josef Selmayr  (1863–1869), Hanslmarterbauer, Ziegeleibesitzer und Gemeindevorsteher/Bürgermeister von Bogenhausen.

 

 

Philomena Sedlmayr, geb. Mühlbauer

 

 

Georg Selmayr hatte zusammen mit seiner Ehefrau Philomena, geborene Mühlbauer (18511925) fünf Kinder. Sohn Josef (18771927) wurde Apotheker in Straubing und heiratete Josefine Betz (18791938), die Tochter des berühmten Gastwirts  Lorenz Betz. Beide lebten 1920 bis 1925 im ehemaligen Wohnhaus der Schwiegereltern, in der Händelstraße 1, wie ihr Enkel, der für die Spionageabwehr der Bundeswehr von 1956 bis 1964 zuständige General Josef Selmayr (1905–2005) in seinen Erinnerungen »Ein Sandkorn im Sturm: Aufzeichnungen eines Soldaten 1905–1945« berichtet. Georg Selmayr war wie sein älterer Bruder Josef Ziegeleibesitzer und Eigentümer des Denninger Hofs (heute etwa Denninger Straße 7, Wohnblockanlage). Aber schon bald hatte er so die Aufzeichnungen seines Enkels Josef Selmayr die Plackerei auf dem Gutshof satt und er überließ um 1900 Landwirtschaft und Ziegelei dem Gesinde und zog in eine geräumige Achtzimmerwohnung in ein Mietshaus Ismaninger Straße 91, nur wenige Schritte entfernt von der prunkvollen Bürgermeistervilla seines Bruders in der Ismaninger Straße 95. Im Adressbuch der Stadt München aus dem Jahr 1902 ist die Familie im 1. Stock wohnhaft geführt mit Telefon! 1910 übersiedeln Selmayrs dann in das Nachbarhaus Ismaninger Straße 93, das direkt an den Parkeingang zur Bürgermeistervilla grenzt. Heute steht hier eine Kfz-Werkstatt.

 

 

 

 

Enkel Josef führt weiter aus, dass sich sein Großvater Georg fortan »mit der Jagd und der geräuschlosen Verminderung seines Vermögens beschäftigte. [...] Die beiden Brüder Selmayr waren die typischen Neureichen der Gründerzeit, durch den Münchner Bauboom jener Jahre, der sich über ihre Wiesen und Felder ergossen hatte, über Nacht zu Millionären geworden. Der eine [gemeint ist der ältere Bruder Josef jr.] wurde der Situation bestens, der andere nicht gerecht; beide hochfahrend und genusssüchtig, ihre Kinder weitgehend am Wohlstandsdenken orientiert.«

 

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs flossen die Mittel im Haus Georg Selmayrs nicht mehr so üppig, die Sorgen um Hypotheken und Schulden m nahmen zu. Enkel Josef beschreibt trefflich das vormals angenehme Leben der »Loambarone«´zur Blütezeit um 1900:

 

»Kein flottes Gespann, kein Automobil alles einmal dagewesen stand mehr zur Verfügung, um nach Erching zum Schlossgut des älteren Bruders [Josef] zu fahren und Hasen und Böcke zu schießen. Aus dem Jagdzimmer in der Wohnung war ein Museum geworden, in dem eingeölte Waffen sich mit waidmännischen Trophäen und sorgfältig gestapelten Jagdzeitschriften vereinten. Vorbei auch die Jahre, wo man einen Opernplatz abonniert hatte, sich in großer Toilette zeigte und regelmäßig in Bad Reichenhall kurte. [...] Gegessen wurde nach wie vor üppig, eine Köchin war unabdingbar.«

 

 

 

Quelle:

Selmayr, Josef: Ein Sandkorn im Sturm. Aufzeichnungen eines Soldaten 1905–1945, Norderstedt 2016.

 

Abbildungen von oben nach unten: