Die Schisprungschanzen in der Kiesgrube

(von Hans Eiberle)

 

"Zufahrt für Automobile Donaustraße auf dem Dammweg; Automobile müssen weiterfahren zur Denninger Straße und wieder rückwärts in der Donaustraße Aufstellung nehmen. Zugang zu den Tribünen Donaustraße, für Stehplätze Denninger Straße." Das Ereignis, auf das die "Münchner Neuesten Nachrichten" ihre Leser hinwiesen, ließ offenbar ein Verkehrschaos befürchten. Deshalb empfahl die Zeitung die Straßenbahn "Linie 9 und 30 bis zur Endhaltestelle. Von dort weisen Plakate den Weg zu den Sprungschanzen, deren hohen Anlauftürme weithin sichtbar über die Häuser ragen."

 

Alle guten Ratschläge waren in den Wind geschrieben. Denn am Nachmittag des 13. März 1925 lockte das erste Skispringen in einer mitteleuropäischen Stadt die Münchner, unter ihnen geschlossen marschierende Schulklassen, in Scharen nach Bogenhausen. Wo heute östlich der Richard-Strauss-Straße in gedachter Verlängerung der Donaustraße längst der Kleingartenanlage der Schreberweg verläuft, erhoben sich am Rand des Roth'schen Quetschwerks zwei Schanzen, der Anlaufturm der größeren 23 m hoch. Dort drängten sich die Zuschauer, die die Absperrzäune niedergetrampelt hatten. Bloß die Ehrengäste auf der Tribüne, unter ihnen der preußische Gesandte und der norwegische Malermeister Wium, der den staunenden Münchnern 30 Jahre zuvor am Taubenberg die ersten Schisprünge vorgeführt hatte, mussten sich ihren Platz nicht erkämpfen.

 

Mitglieder der 1924 gegründeten Vereinigung zur Förderung des sportlichen Schilaufs in München (VFS) hatten die Schanzen aus Holz gezimmert. Dem Schisport-Pionier Carl J. Luther stand der Eröffnungssprung zu, schließlich hatte er zum Gelingen des Unternehmens als Schanzenbau-Experte, Schispringer und Reporter beigetragen. Anderntags erklärte er der Leserschaft fachmännisch, weshalb der Norweger Aasland, im Stil der Zeit durch die Luft rudernd, nur 23 m weit gesprungen war. "In der Höhe von München liegender Schnee gibt wohl nie so rasche Fahrt als Pulver- und Firnschnee der Höhenlage." Schon gar nicht die Reste eines schneearmen Winters, die Mitarbeiter des städtischen Tiefbauamts zusammengekratzt und nach Bogenhausen gekarrt hatten, wo das Infanterie-Regiment 19 die Schanze präparierte. Der Begeisterung tat das keinen Abbruch. Chronist Luther berichtete von Schispringern, die wie im Rausch "über Gebühr oft von der Schanze in die Tiefe gingen, und fast mit Gewalt musste man sie schließlich vom Turm weisen, als der Schnee stellenweise fast ganz von der Bahn weggewetzt war."

 

Eine Woche später, als die Zuschauer wieder "in langen Scharen durch ein Meer bodenlosen Schmutzes" zum Josefi-Springen gepilgert waren, hat sich auch Ludwig Pappenberger mutig von der Schanze hinunter in die Kiesgrube gewagt. Eigentlich sei er Langläufer gewesen, erzählt der Zahnarzt, der im März 2006 im 103. Lebensjahr gestorben ist. Weshalb er sich vom Wagnermeister Ebert am Englischen Garten Sprungschi fertigen ließ, aus dem Holz des Hickorybaums, 2,35 m lang, mit drei Rillen. Sein Versuch, die Disziplin zu wechseln, misslang indes gründlich. "Ich hab' die Vorlage ums Verrecken nicht hergebracht", bei der Landung setzte sich Pappenberger jedes Mal auf den Hosenboden. Gewonnen hat damals Karl Neuner vom SC Partenkirchen, der gemeinsam mit seinem Bruder Martin das Publikum mit einem Doppelsprung begeisterte. Karl Neuner war deutscher Meister in der nordischen Kombination, später Kandahar-Sieger in St. Anton im Slalom und Fahnenträger der deutschen Mannschaft bei den Olympischen Winterspielen 1928 in St. Moritz.

 

Die Vision des Carl J. Luther von München als Stadt des Schisprungs hat sich nicht erfüllt. Die Kiesgrube ist eingeebnet, die Schanzen stehen längst nicht mehr.

 

 

Ludwig Pappenberger: unerschrockener Schispringer, 2002

 

 

 

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Foto: Ludwig Pappenberger, 2002. Foto: Hans Eiberle