Villa Plaß vor 1900

 

 

Vom September 1886 datieren die Pläne von Leonhard Romeis für eine Doppelvilla in der Möhlstraße in Bogenhausen. Auftraggeber waren der Münchner Stadtschulrat Dr. Georg Kerschensteiner und der Maler Ernst Ludwig Plaß. Beide Gebäudeteile haben eine gemeinsame Hauptfassade mit einem prägnanten Mittelrisalit zur Ostseite der Möhlstraße hin und waren durch Türen miteinander verbunden (heute zugemauert). Auch der Garten war für beide Familien gemeinsam angelegt und wurde wohl auch in diesem Sinne genutzt. 

 

 

Villa Plaß 2008

 

 

Stilistisch kann man die Doppelvilla dem von Romeis geschätzten Stil der "deutschen Renaissance" zuordnen. Gerade dieses Festhalten des Architekten an Stilelementen wie Erker, Butzenscheiben oder Fachwerk zu einer Zeit, da bereits die nächste Bauart im Stil des Neubarock und später des Rokoko Mode geworden war, wurde schon von seinen Zeitgenossen als reaktionär angesehen und mit dem Vorwurf der "Ofenbankgemütlichkeit" bedacht. Nicht sehr verwunderlich, wenn man bedenkt, dass zeitgleich zur Kerschensteiner/Plaß-Villa, in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, Maria-Theresia-Straße 27, die erste deutsche Villa im Jugendstil, die Villa Bechtolsheim des Architekten Martin Dülfer entstand.

 

 

Aquarellierter Entwurf von Romeis, 1896

 

 

Durch die ganz unterschiedlich gestalteten Fensterformen und -größen sowie den dreiseitigen Erker im Erdgeschoss (ursprünglich mit bunten Ziegeln bedeckt) und eine zurückspringende Maueröffnung mit angedeuteter Balustrade im ersten Stock, wirkt die Fassade der Plaß-Villa eher unruhig gestaltet. Im Mittelrisalit befand sich im ersten Stock eine heute nicht mehr vorhandene Rundbogennische, in der möglicherweise eine Figur stand. Wie eine aquarellierte Entwurfszeichnung von Romeis aus dem Jahr 1896 zeigt, war für den gemeinsamen Treppengiebel der Doppelvilla, zwischen den beiden kleinen Fenstern ganz oben, sogar eine Malerei (Sonne mit Spruchband) vorgesehen.

 

 

Mittelrisalit 2008

 

 

Die Nordseite der Villa verzierte Romeis im zweiten Stock mit Fachwerkelementen, im ersten Stock wurde ein über Eck gestellter Erker mit einem eigenen Ziegeldach angebracht. Ins Mansarddach fügte er zwei große Atelierfenster ein, um zusätzlich Licht für den Arbeitsraum des Malers zu gewinnen. Die nördliche Fassade weist ansonsten keine weiteren gestalterischen Elemente zur Gliederung auf und bleibt eigenartig leer.

 

 

Atelierraum von Plaß mit Fachwerk

 

 

Für beide Gebäude hatte Romeis ursprünglich schlichte Treppenhäuser vorgesehen, auf der Plaß-Seite änderte er jedoch seinen Entwurf und es entstand ein aufwendiges Kreuzgratgewölbe, das von Rotmarmorsäulen getragen wird. Die im romanisierenden Stil mit Menschen- und Fabelwesen geschmückten Kapitelle der Doppelsäulen aus dem kostbaren Material schufen ein höchst repräsentatives »Entrée« für eine »Künstlervilla«. Ein Wiederholung dieser Gewölbeart findet sich auch im ersten Stock, dem zum Garten hin ausgerichteten und als Speisezimmer angedachten Raum. Der zweite Stock der Plaß-Villa, der bereits in das Dach reicht, ist voll ausgefüllt durch das große Atelier.

 

 

Treppenhaus 2008

 

 

Leider gibt es keine historischen Innenraumaufnahmen, aber im Jahr 1976 ließ der Besitzer der Villa, die Frankona Rückversicherungs AG, das Gebäude restaurieren und dokumentierte den vorhandenen Bestand. Dabei ist vor allem ein Kamin zu nennen (wahrscheinlich aus dem Jahr 1897), dessen Rauchfang ursprünglich mit einem die ganze Fläche ausfüllenden, schwarzen gekrönten Doppeladler bemalt war, über dem sich das hölzerne Relief eines betenden Engels befand. Diese Malerei ließ einer der Hausbesitzer mit einer Blumen- und Ornamentikmalerei verzieren, die noch heute erhalten ist.

 

 

Kaminbemalung 2008

 

 

Im südöstlichen, der Möhlstraße zugewandten Zimmer des Erdgeschosses, von Romeis in seinen Entwurfsskizzen als "Zimmer der Frau" eingetragen, befindet sich noch eine weitere, bis heute erhaltene Rarität. Die gesamte Südwand wird von einer Scheinmalerei ausgefüllt, die Säule und Wandgestaltung des Raumes aufnimmt und einen fiktiven Ausblick auf eine Wasserfläche ermöglicht, auf der sich ein Segel- und ein Dampfschiff gegenüberliegen. Die Forschung nimmt an, dass der Marinemaler Plaß seiner aus Lübeck stammenden Frau durch diese Malerei ein wenig Heimatgefühl vermitteln wollte. Das Landschaftsbild im Innenraum als Ersatz für reale Landschaft wird im übrigen als häufiges Merkmal bürgerlicher Villen Ende des 19. Jahrhunderts genannt.

 

 

 

Wandmalerei im »Zimmer der Dame«, 2008

 

 

 

Ein Jahr später, 1897, entwarf Leonhard Romeis in unmittelbarer Nachbarschaft (Möhlstraße 43) für einen weiteren Maler einen Atelierbau. Karl Freiherr von Wulffen gab ihn in Auftrag und erhielt ein Haus, das mit seinem treppenförmigen Giebel wohl wie eine kleine Reminiszenz der Doppelvilla Kerschensteiner / Plaß anmutete. Allerdings begnügte sich der Bauherr in diesem Fall mit einem Atelierraum und einer »Trinkstube«. Leider ist das architektonische Zusammenspiel der beiden Gebäude heute nicht mehr sichtbar, da die Wulffen-»Villa« mehrfach umgebaut wurde und heute nur noch im Kern der Romeis'schen Konzeptionierung entspricht.

 

 

Villa Plaß und Villa Wulffen / Schuster 2008

 

 

 

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