um 1907

 

 

Das Wohnviertel an der Möhlstraße blieb zunächst trotz Krieg und Revolution, Abschaffung der Monarchie und Räteherrschaft und der damit einhergehenden tiefen Verunsicherung des Bürgertums weiter nur den obersten Schichten der Gesellschaft vorbehalten. Wirtschaftliche und familiäre Zwänge (die Gründergeneration war am Wegsterben, oft gab es keine Kinder und Erbauseinandersetzungen zwangen zum Verkauf von Liegenschaften) führten aber in den 1920er Jahren zu vielen Um- und Einbauten in die Villen, die dann weiter- und untervermietet wurden. Damit begann gleichzeitig eine Phase der sozialen Umschichtung der Bewohner der Möhlstraße - nun standen die vornehmen Villen nicht nur den "Großkopferten" zur Verfügung. Dem Zeitgeschmack entsprechend erhielten einige der alten Villen durch Umbau jetzt auch ein neues Gewand im Stil der "Neuen Sachlichkeit" bzw. wurden neu mit kargem Äußeren errichtet, wie zum Beispiel die Villa von Chemie-Nobelpreisträger Prof. Richard Willstätter (HsNr. 29).

 

 

 

 

 

 

 

Nach der Machtübernahme Hitlers änderte sich die Einwohnerschaft der Gegend. Allerhöchste Repräsentanten der NSDAP lebten nun in der Nachbarschaft mit wohlhabenden Juden, deren Besitz nach und nach enteignet wurde. In der Möhlstraße wohnte unter anderem zeitweilig Heinrich Himmler (erst in der ehemalige Kullen-Villa, HsNr. 19, dann gegenüber in HsNr. 12a). Gleichzeitig hatten in der Möhlstraße Bogenhauser Widerstandskämpfer hier ihr Quartier: so Ludwig Freiherr von Leonrod, dessen Familie die enteignete Villa HsNr. 21 der jüdischen Familie Kaufmann nach deren Tod erworben hatte oder der Kulturphilosoph Theodor Haecker, der seit 1928 im Dachgeschoss des Schreiber-Verlags in der Möhlstraße 34 wohnte. Die jüdischen Familien gehörten zur "Gründergeneration" der Möhlstraße und nur wenige kehrten Deutschland nach der Machtergreifung 1933 sofort den Rücken. Nach dem Pogrom am 9. November 1938 wurden die Juden der Möhlstraße aus ihren bisherigen Wohnungen und Häusern vertrieben und  in sogenannten "Judenhäusern" (Villa HsNr. 9 und Villa HsNr. 30) zusammengepfercht und von der übrigen Bevölkerung isoliert. So begann für alle Juden der Möhlstraße der Weg, der bestenfalls noch in der Emigration, schlimmstenfalls in Demütigungen und Selbstmord, Verschleppung, KZ und Vernichtung führte.

 

In der Möhlstraße befand sich außerdem ein Außenlager des Konzentrationslager Dachaus, über dessen Belegstärke jedoch Unklarheit herrscht. Erstmalig erwähnt wird es in einer Meldung über den Tod von zwei Häftlingen durch einen Bombenangriff am 9. Juni 1944. Bereits vor diesem Datum muss daher ein Kommando von Dachauer Häftlingen hier zum Einsatz gekommen sein, eine genauere Datierung ist jedoch nicht möglich. Die Gefangenen stammten aus dem Deutschen Reich, Italien, Jugoslawien, Russland und Polen und sie waren mit Instandsetzungsmaßnahmen betraut, eventuell auch mit dem Bau eines Luftschutzbunkers. Letztmalig wird das Außenlager am 25. April 1945. Ein Ermittlungsverfahren der Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg 1973/74 wird mangels Erkenntnisse eingestellt.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die leerstehenden Häuser von den US-Militärbehören beschlagnahmt und den verschiedensten Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellt. Bekannt wurde die Möhlstraße (und das in ganz Deutschland) auch wegen des Schwarzhandels, den man hier unter dem Schutz der Militärbehörde betrieb. Erst 1950, zwei Jahre nach der Währungsreform, löste sich der Markt endgültig auf. Mehr zum Schwarzmarkt in der Möhlstraße

 

 

 

Viele Villen in der Möhlstraße haben den Bombenkrieg überstanden, doch in den 1970er-Jahren kam es zu einer "zweiten Zerstörung" des Viertels, als wirtschaftliche Aspekte eher den Abriss einer alten Bausubstanz als deren Bewahrung diktierten. Nicht selten gerieten auch Gebäude unter die Abrissbirne, die nicht durch Kriegsschäden und Nachkriegswirren gelitten hatten. Dennoch sind noch ca. 19 - jetzt unter Denkmalschutz stehende - Anwesen in der Möhlstraße zu finden. 

 

 

 

 

<< zurück zum Textanfang

 

 

 

 

Fotos von oben nach unten: